Einleitung

Gemäss einer Erhebung des Bundes-amtes für Statistik sind Kreuz-schmer-zen die häufigste «Krankheit» in der Grundversorgung während einer 4-wöchi-gen Beobachtungsphase mit 8% davon be-troffenen Frauen und 13% betroffene Männer. Die Lebensprävalenz beträgt zwischen 60-80%. Die meisten Kreuzschmerzen klingen innerhalb von 6 Wochen wieder ab. Nur ca. 10-20% aller Patienten leiden nach 6 Monaten noch an lumbalen Rückenschmerzen.

Klinik

In der klinischen Untersuchung finden sich häufig muskuläre Verspannungen der Rückenmuskeln und Bewegungseinschrän-kungen der Wirbelsäule. Diese Funktions-störungen können gelegentlich für die Schmerzen verantwortlich sein. Häufig sind sie jedoch mehr Ausdruck des «allgemeinen Schmerz-Leidens». Chronische Rückenschmerzen und die deswegen entstehenden Behinderungen sind häufig zusätzlich von psychologischen Faktoren wie eigene Überzeugungen, Coping-Verhalten, allge-meinem Stress und Umgang mit den Ein-schränkungen abhängig. Diese Faktoren spielen eine wichtige Rolle im Krankheitsprozess und führen häufig zusammen mit körperlicher Schonung zu einer somatopsychischen Dekonditionierung.
Radiologische Veränderungen an der Wirbelsäule sind häufig und nehmen mit dem Alter zu. Sie zeigen in der Regel kaum eine Korrelation zum Beschwerdebild des Patienten. Auch mit dem MRI nachweisbare Veränderungen an den Bandscheiben sind häufig, über das Alter zunehmend und -korrelieren oft beim chronischen Rückenschmerz nicht mit den geklagten Symptomen oder den klinischen Befunden.

Einteilung der Chronischen Lumbalen Rückenschmerzen

Spezifische Rückenschmerzursachen sind selten, so dass 85-90% aller chronischen Rückenbeschwerden als unspezifische Rückenschmerzen einzuordnen sind. Diese sollten einfach nach der Lokalisation der Schmerzen eingeteilt werden. Vier diagnostische Gruppen werden unterschie-den : 1) Lokale Kreuzschmerzen; 2) Kreuz-schmerzen mit Ausstrahlungen bis zum Knie ; 3) Kreuzschmerzen mit Ausstrahlungen bis unter das Knie, ohne neurologische Ausfälle; 4) Kreuzschmerzen mit Auss-trah-lungen bis zum Fuss, mit oder ohne neurologische Ausfälle.

Diagnostisches Vorgehen beim Chronischen Rückenschmerz

Der erste und wichtigste Schritt in der -klinischen Evaluation ist die Anamnese. Dabei sollen die Schmerzen in all ihren -Dimensionen erfasst werden. Zu beachten sind auch die roten und gelben Flaggen (Tabelle 1 und 2 ), welche wichtige Hinweise auf eine spezifische Wirbelsäulenerkrankung oder bezüglich psychischen und psychosozialen Belastungen geben können. Die Anamnese wird gefolgt von einer körperlichen Untersuchung. Bei der Abklärung von chronischen Rückenbeschwerden soll nicht nur die Wirbelsäule untersucht werden, sondern es muss wegen der differential-diagnostischen und differentialtherapeutischen Implikationen zusätzlich ein vollständiger internistischer und neurologischer Status erhoben werden, um allfällige spezifische Ursachen der Rückenschmerzen zu erfassen. Da bei chronischen Kreuzschmer-zen sehr häufig auch eine psychische Mitbeteiligung vorhanden ist, sollten eigentlich alle Patienten mit chronischen Kreuzschmer-zen psychiatrisch abgeklärt werden, um diejenigen Patienten zu erfassen, bei denen eine psychiatrische Ko-Morbidität vorliegt und die neben der somatischen Therapie des Rückenleidens von einer psychiatrischen Behandlung profitieren können.
Tabelle 1.
Rote Flaggen beim lumbalen Rückenschmerz als Hinweise auf eine spezifische Erkrankung der Wir-belsäule
Tabelle 2.
Gelbe Flaggen als Hinweise für eine Chronifizierung der Kreuzschmerzen Eigene Überzeugungen
Nach Anamnese und klinischer Untersuchung folgt allenfalls (aber nicht notwendigerweise) eine radiologische Abklärung. An erster Stelle stehen dabei die stehenden Aufnahmen der Wirbelsäule. Auf diesen Auf-nahmen lassen sich die Form und Haltung der Wirbelsäule. die Wirbelkörper und -Facettengelenke sowie die Zwischenwirbelräume und die SIG beurteilen. Weiterführende Abklärungen mittels MRI sind nur bei entsprechendem klinischem Verdacht sinnvoll.
Laboruntersuchungen inkl. Rheumaim-munologie (z.B. HLA-B27) können die Abklärungen komplettieren.

Behandlung des ­Chronischen Lumbalen Rückenschmerzes


Medikamente

Zur medikamentösen Behandlung kommen Analgetika (WHO-Stufenmodell), nicht- steroidale Entzündungshemmer und Myotonolytika zur Anwendung, ebenso wie Anti-depressiva oder Antiepileptika als Koanalgetika. Paracetamol ist das Schmerzmedikament der ersten Wahl. Tramadol zeigte ebenfalls einen positiven Effekt gegenüber Placebo. Bei ungenügendem Effekt der Analgetika kommen auch Antirheumatika oder COX-II-Inhibitoren zum Einsatz. Die Antirheumatika sind in der Wirkung unter-einander vergleichbar, aber den Analgetika oder Muskelrelaxantien nicht signifikant überlegen. Die kardiovaskulären Risiken der Coxibe und der NSAR sind zu beachten. Antidepressiva werden gerne als Koanalgetika zur Wiederherstellung der Serotonin- und Noradrenalin- Neurotransmitterbalance eingesetzt. Dabei zeigten sich vor allem -Antidepressiva mit gleichzeitiger Noradrena-lin–Wiederaufnahmehemmung als effektiv. Zuletzt sollte die Gabe von Vitamin D nicht vergessen werden. Dies vor allem in der -älteren Population, bei der mittlerweile gute Evidenz besteht, dass die Gabe von Vitamin D Rückenschmerzen vermindern kann und Stürze verhindert. Beim chroni-schen unspezifischen Rückenschmerz haben Korti-kosteroide keinen Stellenwert.

Infiltrationen

In ausgewählten Fällen können gezielte Infiltrationen sinnvoll sein. Bei fazettogenen Schmerzen aufgrund degenerativer Ver-änderungen der Wirbelkörpergelenke sind diese Massnahmen zur kurzfristigen Symptomkupierung effektiv. Die infiltrativen Behandlungen können zudem durch die Schmerzlinderung therapeutisch die Vor-aussetzungen für einen anhaltenden Behandlungserfolg der aktiven Physiotherapie schaffen.

Physiotherapie

In der physiotherapeutischen Behand-lung des chronischen Rückenschmerzes geht es primär darum den Pa-tienten rasch möglichst wieder dazu zu bringen, seine normalen Aktivitäten aufzunehmen. Diesbezüglich haben sich aktive Übungsprogramme zusammen mit cognitiv-behavioralen Behandlungen als wirksam erwiesen. Hilfreich ist meist eine medizinische Trainingstherapie. Diese Therapie ist auf die Verbesserung der kardiovaskulären Fitness, der Kraft und der Kraftausdauer ausgerichtet. Damit -lassen sich die self-efficacy, die allgemeine körperliche Belastbarkeit und die arbeits-spezifische Leistungsfähigkeit verbessern. Auch allgemeine sporttherapeutische Behandlungen sind empfehlenswert um die all-gemeine Fitness und körperliche Leistungs-fähigkeit zu verbessern. Sportliche Aktivi-täten sollten auch nach Abschluss einer Physiotherapie weiter vom Patienten durch-geführt werden. Hinsichtlich der häufig -angewandten passiv- physikalischen Maßnahmen besteht nur eine moderate Evidenz für eine oberflächliche Wärmetherapie mit einer meist kurzfristigen Verminderung der Schmerzen und der Behinderung. Massagen scheinen die Beschwerden über einen -Zeitraum von bis zu 12 Monaten günstig zu beeinflussen. Die Evidenz der Elektrotherapie wird kontrovers diskutiert und beurteilt.

Rehabilitation

Eine ambulante oder stationäre Rehabilitation ist bei Versagen der einfachen -ambulanten Physiotherapien sinnvoll. Inter-disziplinäre Rehabilitationsmassnahmen sind geeignet, die Schmerzen zu lindern, die allge-meine Funk-tionsfähigkeit zu ver-bessern und die Rückkehr zur Arbeit zu fördern. Mittels einer Rehabilitation lassen sich gegenüber einer üblichen Behand-lung im Schnitt 30 Krankheitsausfallstage verhindern. Die Wahrscheinlichkeit einer Verbesserung der Arbeitsunfähigkeit ist langfristig um ca. 30% niedriger wenn eine übliche Behandlung und nicht eine aktive Übungsbehandlung durchgeführt wird. Eine funktions- und leistungsorientierte Rehabilitation ist zudem einer schmerzzentrierten Behandlung kostenmässig überlegen.